Interview

Kleine Schwärmerei

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N. ist Töpfer. Er hat einen Ofen neben der Werkstatt im Garten. Das besondere an seinen Keramiken ist der Holzbrand, der ganz eigene, unvorhersehbare Glasuren hervorruft. Ich kenne N. seit wir uns gemeinsam in einer nahegelegenen Solawi "eingekauft" haben. Wir sitzen in der Sonne in seinem Garten. Etwas verspätet, weil er noch fünf Becher auf der Töpferscheibe zu Ende drehen wollte. Ich habe in der zwischenzeit Kaffee gekocht und einen kleinen Tisch und zwei Stühle aufgestellt. Als wir schließlich zusammensitzen und uns ein wenig über unser Befinden ausgetauscht haben stelle ich die erste Frage. In der Erörterung, z.B. das damit die Frage nach der Definition von Kreativität angesprochen wird, daß die Neurowissenschaften immer weiter in der Funktionsbeschreibung und Verortung von Hirnfunktionen kommen und somit an dieser Frage auch forschen schiebt sich ein Geräusch in unser Gespräch, daß ich erst einmal gehört habe: in einem, in voller Blüte stehenden südfranzösischen Lavendelfeld, in denen sich tausende Bienen tummelten. Schnell wird klar, daß aus einem der Bienestöcke am Ende der Wiese ein Volk zu Schwärmen beginnt. Vor dem grünen Kasten schwirren hunderte von Bienen durcheinander. Ich erhalte umgehend ein kleines Tutorium Bienenkunde. Ich erfahre, daß wir da gerade quasi einen Vermehrungsakt beobachten, daß ein Querschnitt des Volkes aus Bau-, Arbeits-, Sammel-, Spur- und Ammenbienen (ca. die Hälfte des Volkes) der alten Königin folgt, wenn diese von den neuen, in Weiselzellen herangewachsenen und ausschließlich mit Geleè Royal gefütterten, Königinnen durch spezielle Geräusche informiert, den Stock verlässt, um einen neuen Staat zu gründen. Es fällt uns zunehmend schwer zurück zu den Fragen zu kommen, da die Bienen sich immer weiter und höher hinaus von dem Stock entfernen. Die Frage nach der Messbarkeit der Kreativität scheint hinter den schwärmenden Bienen zu verschwinden. Die kreuz und quer fliegenden Bienen habe jetzt den nahen Apfelbaum erreicht und umkreisen wild seine Krone. Die surrende Wolke wird zwischendurch fotografiert und auf Video aufgenommen. Ich erfahre weiter, daß die Bienen so sehr mit sich beschäftigt sind, daß sie quasi ungefährlich sind, nicht stechen werden, daß sich eine Bienentraube um die Königin bilden wird, sobald sie einen Platz gefunden hat, daß gleichzeitig aber die Spurbienen nach einem geeigneten Ort für den neuen Stock suchen werden, und daß das ein Weilchen dauern kann. Inzwischen ist auch der Imker informiert, er kommt nach Feierabend, sich das anzugucken. Tastend fuchsen wir uns wieder in die Fragen hinein und versuchen unsere Konzentration wiederzufinden, da verschwinden mehr und mehr Bienen aus der Apfelbaumkrone und sammeln sich mehr und mehr wieder vor dem alten Stock. Ich erfahre wiederum Neues. Es passiert mitunter, daß die alte Königin verunfallt, sich verletzt oder stirbt und das ganze halbe Volk dann wieder in den alten Stock zurückeinzieht. Das scheint hier geschehen zu sein, die Bienen sammeln sich vor dem Einlass in den Stock und bilden an der Außenwand eine großen Traube, die dann im Laufe unseres Gespräches immer kleiner wird und verschwindet, bis vor dem grünen Kasten nach eine halben Stunde wieder ganz normaler Verkehr zu beobachten ist. Der Garten mischt sich immer wieder in unser Gespräch, ohne die Konzentration auf das Thema wirklich zu stören: Das Meisenbad in der eingedellten Wassertonne, direkt neben dem viel genutzten dem Futterplatz, die hochgewachsenen, im Wind sich wiegenden Gräser, die weite Flächen des ansonsten gemähten Rasens üppig umsäumen, die Wolken, die Gerüche der Blumen, all das was sich um uns rum bewegt, dienen immer wieder auch als Beispiel und Gespächsanlass. Die folgende Wiedergabe kann die Intimität der Zwiesprache in keinster Weise wiedergeben. Also los-

Warm up Kann man Kreativität messen ?
Nein, ich glaube nicht. Beuys hat mal auf eine Frage nach seinem Bekanntheitsgrad sinngemäß geantwortet :
– was soll ich ihnen denn da jetzt sagen - Windstärke 12 ?

Wie beschreiben die meisten Menschen, wenn sie mit kreativen Mitteln, ein Problem bewältigten ihre Befindlichkeit ?

Erschöpft ~ Beflügelt~ Erleichtert~ Glücklich~
all das und noch viel mehr, weil da etwas Neues entsteht.

Was glaubst du, lässt die Kreativität am meisten wachsen ?
Langeweile ist für mich kein Auslöser, eher ist ist sie eine Gelegenheit da rauszukommen, Abstand zu nehmen.
Und Chaos macht bei mir gar nix.
Erfahrung~ Könnerschaft~ Druck, eher auch nicht.
Freiraum~Wissen~ und wohl noch vieles mehr könnte ich nennen.
Ja, für mich z.B. Ruhe, Ausgeglichenheit.
Oft ist die Kreativität, der Gedanke, die Eingebung da, wenn ich gar nicht dran denke, wenn ich ganz woanders bin. Eher so eine Art Bereitschaft.

Wann kann sich Kreativität am besten entfalten ?
Eher in Zeitlosigkeit.
Leere Räume, mit wenig Gegenständen drin, faszinieren mich. Das ist so ein - mit sich selber konfrontiert sein/werden.
Ich hab mal die Wohnung renoviert, den Boden abgeschliffen. Danach dann der leere Raum, am liebsten hätt ich ihn so gelassen. Genauso beeindruckt mich die Ästhetik der jap. Teehäuser.

Unterschiedliche Kunst = unterschiedliche Kreativität ?
Eher ja, je nachdem wo sie lebendig wird, was sie triggert.

Braucht Kreativität Intelligenz ?
Nein, sie ist auch schon mal im Weg.

Hast du ev. andere Worte dafür ?
Gestaltungskraft, Findigkeit, Witz, Phantasie, Originalität, Schöpferkraft, Ideenreichtum, Schlauheit, Raffinesse, Gerissenheit, Geschäftstüchtigkeit, Verschmitzheit, .......
da gibt es so viele.

Kreativität und Ökonomie – passt das zusammen ?
Ja klar, aber auch hier ist es eher die Tätigkeit und das was der Arbeit dient, sie geschmeidiger macht.
Als Beispiel - ein besonderes Werkzeug erfinden, das hilft die Abläufe besser zu gestalten, das wäre sowas, wo das zusammenpasst.

Gibt es so etwas wie negative Kreativität ?
Klar alles hat seinen Gegenpol.

persönliche Fragen Würdest du dich selbst als Künstlerin bezeichnen ?
Das ist mir zu groß.
Jede Lebensäußerung kann künstlerisch durchdrungen werden. Bei mir ist die Alltagsnutzbarkeit sehr im Vordergrund.
Es heißt ja auch KunstHandwerk.

Worin besteht deine Kunst ? Was macht für dich das Künstlerin sein aus ?
Auch losgelöst vom wirtschaftlichen Erfolg ist die praktische Nutzbarkeit der Werkstücke, ihre Gestaltung, der komplette Prozess, also Ton, Glasurzutaten, Holz auswählen und probieren was geht, ein Teil des Ganzen.
Dann das Drehen, Gestalten, Glasieren der Werkstücke und alles was damit zusammenhängt.
Und der Ofen, ihn bauen, füllen, heizen, das Brennen und später dann das Auswählen, Verkaufen, mit Kunden sprechen. Das gehört ja alles zusammen.

Hast du Ziele, die du mit deinem "Schaffen" erreichen willst ? Für Dich ? Für andere ?
Geld zu verdienen. Ja ich könnte jetzt viele hehre Ziele nennen aber das ist auch ein Motor und eine positive Rückmeldung.
Ansonsten zum Nutzen anderer. Deren Leben angenehmer machen, bereichern. Was tun, um anderen Nutzen zu bringen.

Welche Rolle spielt Kreativität in deinem Künstlerinnen Sein ?
Das ist bei mir eher handwerklich, im Wandel, im Verändern – Holzbrand ist ja ein Synonym für Wandel. Genauso wie das Feuer, der Verlauf der Ströme im Ofen die Werkstücke verändert.

Wenn da etwas geboren wurde, was macht das mit dir ?
Sprachlos vor Staunen und Ehrfurcht nach dem was da entstanden ist, was da gemacht wurde.

Kannst du beschreiben, was da in dir geschieht/entsteht ?
Das ist dann total schön, eine Faszination, eine umfassende Zufriedenheit stellt sich ein.

Gibt es bei dir den Moment, wo es passiert ?
Hm, ja schon. Aber z. B. beim Entwickeln der Brennmethode. Die ist wiederum in einem sehr langen Prozess entstanden, da sind so viele Erfahrungen gemacht worden, daß es auch viele kreative Momente zu beschreiben gäbe.
Das ist auch immer wieder neu und fügt sich manchmal zu etwas größerem zusammen.

Der Moment wenn etwas entsteht, das du festhalten, loslassen, weiter gestalten, abschließen oder offen halten möchtest – kannst du ihn beschreiben ?
Das ist wie eine Leere vor Erfüllt sein.
Ich bin oft überrascht von dem Ergebnis, oft überwältigt, fast ehrfürchtig.
Aber das geht auch woanders - Der Garten z.B. löst diese Tiefe auch aus. Er ist aber auch ein Sich-selbst, obwohl wir den ja auch anlegen und planen. Aber er ist ein Außerhalb-uns. Er entwickelt sich selbständig. z.B. sitze ich manchmal hier und freue mich wie der Wind in den Gräser spielt, die ich zwar stehen gelassen hab, aber die Gräser sind selbständig hoch gewachsen.

War das schon immer so, hat sich das verändert ?
Ich glaub schon, daß sich das im Alter verdichtet.

Hast du Mittel, Techniken, Vorgehensweisen dahinzukommen ?
Mich bewegen. Auf allen Ebenen - im Kopf, mit dem Körper, in meinem Umfeld. Laufen und Yoga oder ThaiChi - neugierig bleiben und das Gedächtnis benutzen.

Was geschieht bei der Präsentation ?
Das ist vor allem die Freude über Rückmeldung, die Dinge beschreibt, die ich gar nicht intendiert habe, die ich nicht auf dem Schirm hatte – wenn neue Aspekte auftauchen.

– die Glasur hat Tiefe – ist z.B. ein gängiger Begriff, den ich nie gebrauchen würde, da ich eher versuche sowas anders zu beschreiben – und wenn dann eine andere Beschreibung kommt, dann ist das Klasse.
Aber auch so etwas wie Intuition fällt mir immer wieder auf:
eine Kundin nahm z.B. eine Vase in Augenschein und sagte: - in diese Vase gehört keine Rose – Damit hat sie die dienende Funktion der Vase, die ja nicht für sich selbst steht, sondern die die Blume präsentieren soll, wunderbar beschrieben.

Ist das befriedigend ?
Ja, wellengleich, da klingt dann was

Ist das anstrengend ?
Ja, lebendig, natürlich, anders.

Befeuert es deine Lust Künstlerin zu sein ?
Ja. Aber da gibt es die Gefahr der Eitelkeit. Da freu ich mich dann über ein Korrektiv. Wenn ich das merke, da muß ich mich dann zurücknehmen oder aufhören.

Am noch mehr machen ?
Ich habe mal eine regelrechte Motivationsabsicht bei nem Kunden erlebt. Der lobte und lobte und befeuerte mit seiner positiven Rückmeldung, da noch mehr von zu machen, genau dies weiterzuführen.

Am Weitergeben ?
Das Ganze ist ja auch ein kommunikativer Akt. Selbst in der Vorbereitung wird das miteingebracht, beim Drehen z.B. und das wird auch gesehen, wenn da was Originäres eingebracht wurde. Wenn ich das rüberbringen kann ist das schon toll.

Würdest du den Moment als heilend beschreiben ?
Auf jeden Fall.

Kannst du dich der Aussage anschließen – Meine Kreativität heilt meine geschundene Seele ?
Ja klar, das ist wichtig zu wissen, was ich tun kann wenn es mir Scheiße geht.
Da sind Singen und Drehen ganz ähnlich für mich: im Tun merkt man ab und zu, wie minimal die Unterschiede sind, um etwas zum Glänzen zu bringen, daß es den Raum füllt (auch ein gesungener Ton füllt den Raum).
Ein Becher ist ja ein Raum, der gefüllt wird, der definiert wird durch das Objekt. Der Raum der durch den Ton geschaffen wird - Als ich das Dach für den Brennofen baute, hatte ich das Bild, daß ich dem Himmel ein wenig von seinem Raum klaue.

Gibt es einen Ort, der dir beim Kreativsein hilft ?
Naturnähe, Wohlfühlen. Tai chi.
Vorbereitung macht das Einfinden in die Arbeit leichter. Ein Instrument der Ruhe. Wenns brennt auch in Gedanken bis ins Einschlafen hinein.

Hast du Rituale rund um deine Kreativität ?
Es gibt bestimmte Tageszeiten, wo es besser geht. Wenn ich mich körperlich bewegt habe fühle ich mich bereiter.
Aber es gibt da auch viele kleine Dinge.
Hier z.B. Das Aufräumen der Werkstatt ist ein Ritual aber nicht nur für den Abschluß, auch für die Vorbereitung auf den nächsten Tag.

Allein/Zusammen/Politische Fragen
Ein Bild von einem kreativen Moment/Prozess – wie sähe das aus ?
Eher bunt als monochrom.

Kreatives Gesellschaftsspiel ?
Jedes Spiel ist irgendwie kreativ.

Gruppenarbeit in der Schule ? Ensemblearbeit ? Teamarbeit ? Wie müsste die gestaltet sein, um kreativität zu entfalten ?
Zwischenmenschlichkeit ist sehr wichtig. Räume die das Ungewisse zulassen. Ohne allzu genau hinzusehen, merken, was im Gesamten geschieht – z.B. beim Brand, beim Befeuern, wenn auf beiden Seiten ohne Kontakt zueinander alles richtig gemacht wurde.

Der Flow-Effekt (Montessori), löst das was aus bei dir ?
Als ich anfing und ich zum ersten mal an der Drehscheibe den Ton von unten nach oben transportierte, das war so ein Moment, den ich wiederhohlen wollte, wieder und wieder. Auch wenn das jetzt nicht mehr so ist, jetzt sind es andere Momente, die mir dieses Gefühl machen.

Jeder Mensch ist ein Künstler, Soziale Plastik, Wärmecharakter (Beuys) ?
Klar, die Einschränkung ist natürlich das Dienende, bzw. das Bewußthaben von der Bedeutung des eigenen Tuns, der Wert der Arbeit, die ich leiste. Der Sinn des Berufes, über das Geldverdienen hinaus, für die Gemeinschaft.
Kriegskunst dagegen ist pervers, weil Zerstörung und Mord eben nicht der sozialen Plastik dient.
Jeder Mensch ist ein eigenes Universum, das zu töten geht gar nicht.

Jede/r kann ein/e Künstlerin sein (Novalis) ?
Novalis wird auch von Anthros zitiert, auch von Hermann Hesse.

Kennst du noch andere Auseinandersetzungen mit Kreativität im öff. Diskurs ?
Pädagogik sucht da ja auch nach.
Ich hab mal erlebt wie ein Kollege mit sehr schwierigem Kind alles ausgepackt hat, was er im Instrumentenkasten hatte. Nix griff.
Normalerweise eskaliert das dann– irgendwann wurde es ihm zuviel und er sagte, so, jetzt koche ich mir erstmal einen Kaffee – er hat so den Konflikt verlassen und damit das Kind auf sich selbst zurückgeworfen, die Situation war entschärft und musste von beiden völlig neu bewertet und angegangen werden.

Nach dem Gespräch gehen wir beseelt und entspannt nochmal nach den Bienen gucken und wenden uns dem Garten zu.

(benötigt eine App für RSS Feeds, z.B. Follower, Feedly, Reeder …)