Furor

Rotes Tuch

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****Der 60 te Geburtstag

Die große Feier war für Samstag angesetzt.
Heute hatten sich darum gar nicht so viele gemeldet. Gaby hatte einen Brief gesandt, einer von vielen kleinen Höhepunkten.
In ihrem Brief lag ein altes Foto von beiden.
Bei dem Gedanken an sich selbst von damals musste sie lächeln; ein mildes und doch ein bitteres Gefühl. Der Schmerz war einfach noch allzu nah und er speiste sich in den Jahren dazwischen aus unendlich vielen Quellen, die diese Zurücksetzung immer wieder auffrischte und bestätigte. Und jetzt noch die Erwartung auf das Alter, das ihr als Ü-60jährige nur noch Verfall und damit weiteren Spott verhieß.
War es da ein Wunder, daß jetzt, mit den Gedanken an Gaby alles wieder nach oben schwappte ? Der Status des Zweitrangingen, Nichtwerten, Unsichtbaren war seitdem geblieben.
Damals, ein paar Wochen nach ihrem 12ten Geburtstag, hatte sich dieses Gefühl in ihr eingenistet; dieses unbestimmte "In dieser Welt nicht ankommen dürfen", gebraucht aber nicht gewollt zu sein, abseits zu stehen, nicht richtig zu sein. Und das, obwohl der Einstieg in dieses Gefühl ein gigantischer Irrtum gewesen war oder vielleicht auch gerade deshalb ?
Ihre beste Freundin Gaby hatte sie darauf geeicht, daß es mit 12 Jahren losgehen würde und damit dann auch das Frau sein, das Erwachsen werden, das Dazugehören.
"An deinem 12ten, da wird es geschehen, warts ab, du wirst schon sehen," wiederholte sie mantrahaft und voller Überzeugungskraft. Dabei hatte sie selbst erst ein halbes Jahr später Geburtstag.
Sie behandelten das Thema wie ein Geheimnis, das man gerade vor den Eltern und Erwachsenen bewahren musste.
Wenn sie sich "kundig machten", wie sie es nannten, zogen sie um die Häuser. Sie setzten sich in die Wartezimmer der Frauenärzte, um die Frauenzeitschriften durchzublättern oder sie besuchten Drogerien und Apotheken in der Stadt, wo unzählige Hilfsmittel und ihre Anwendungen einzusehen und vor allem Anzufassen waren.

Ihren Geburtstag hatte sie dann minutiös geplant und alles hatte gepasst.
Die Geburtstagstorte war genau so blau, wie gewünscht. Papa hatte sich selbst übertroffen. Mit der Torte, hätte bei jedem Konditorencontest der Welt mithalten können, traumhaft.
12 Blütenblätter aus Marzipan, alle in unterschiedlichen Blautönen mit weißen Kerzen obendrauf und in der Mitte, eine himmelblaue Kerze als Fruchtknoten für das neue Lebensjahr.
Ihre komplette Wunschliste war im Laufe des Tages abgearbeitet worden. Am Morgen die Bettwäsche und die Kissen, der blaue Schulranzen – schließlich wechselte sie nach den Sommerferien mit ihrer Klasse in das Schulgebäude der Großen – und die Kinokarten für alle drei Winnetou-Filme.
Für die Feier in der Schule hatte Mama ihr blaue Plätzchen gebacken, die sie des Kontrastes wegen auf orangenen Servietten kredenzte. Die Hausaufgaben wurden ihr an diesem besonderen Tag natürlich erlassen.
Und ihre Freundinnen hatten sich zusammengetan und ihrer Barbie ein komplettes Kostüm zusammengestellt, deren Einzelteile sie, verpackt, jede voller Stolz, mit ausgestreckten Armen als Geschenk überreichten - es war hinreißend. Der Gegensatz, den die gelbblonden, hüftlangen Haare der Puppe zu dem leuchtend blauen, fesch geschnittenen Stoff boten, war so überzeugend, daß die Hälfte der Geburtstagsfeier damit verbracht wurde, der strahlenden Miniaturfrau die Geschenke, die Torte und die Gäste vorzustellen.

Bis zum Ins-Bett-Gehen hatte sie gehofft, war immer wieder auf die Toilette verschwunden, um ihren Schlüpfer zu kontrollieren und lange noch lag sie wach im Bett, spürte in ihren Unterbauch, wechselte die Lagen und spürte und wartete, bis sie endlich, in Gedanken an den verbrachten Tag, Morpheus begegnete.

Erst fünf Wochen später, als sie aus der Schule kam, zog und zwackte es in ihrem Bauch. Erst war sie irritiert gewesen, fragte sich was sie gegessen hatte, doch vor der letzten Kreuzung wurden ihre Gedanken klar. Sie beschleunigte den Schritt, hastete über die Straße und die Treppen zur Wohnung hoch, zerrte die Schuhe von den Füßen und verschwand im Bad. Sie zog sich Hose und Schlüpfer herunter.... und da war es – und es war ROT.


**Vorwort als Nachwort

Wenn ihr ein Thema suchtet, wo ihr euch aber sowas von richtig aufregen könntet, über das was dazu in der Welt geschieht ....
Welches Thema würde sich dafür wohl am besten eignen ?
Wo fände sich die Garantie einer nicht enden wollenden AufregerWutZornRechtfertigung, die keinen Vergleich zu scheuen braucht ?
Mit andern Worten - welche Ungerechtigkeit in dieser Welt hat Keinesgleichen ?

Also nicht das es davon wenig gäbe, das Krieg und Folter, Missbrauch, Prügel, Korruption, Herrschsucht und kriminelle Energie es nicht wert wären unseren, meinen Zorn auf sich zu ziehen.

Aber da ist eine Ungerechtigkeit, die schlägt alle bei Weitem, die zieht sogar ganz viele Ungerechtigkeiten nach sich, ist vielleicht sogar Ursache für so gut wie..., wenn nicht viele mehr.

Keine Vorstellung ?
Sie umgibt dich, überall,
nirgends sie zu sehen ist,
blank, wie ein weißes Blatt Papier,
immer da ist sie,
unübersehbar nah.
Und wie bei allen Ungerechtigkeiten sind auch hier die Opfer die ersten, die relativieren, beschwichtigen und Nachsicht gewähren, um sich selbst zu schützen
und die Täter sind diejenigen, die verharmlosen, übersehen und runterspielen um sich selbst zu schützen.
Neugierig geworden ? Dann lasst mich folgende, harmlos erscheinende Geschichte erzählen und ihr werdet bald drauf kommen, wo ihr eure Zorneslust endlos stillen könnt.

(benötigt eine App für RSS Feeds, z.B. Follower, Feedly, Reeder …)