zum Muttertag

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Er hatte schon ein paarmal angeklopft.
Vergeblich. Ihr Lebenswille hat ihm lange die Stirn geboten.
Jetzt hat sie ihn eingelassen, ist mit ihm gegangen, neue Wege zu beschreiben, neue Orte zu finden.

Meine Mutter kam aus einer Zeit, da der Sinn des Lebens für eine Frau darin bestand, einen Mann zu finden, Kinder zu kriegen, sie für das Leben in der Welt vorzubereiten und die Familie bei Laune zu halten.
Es gab kein Kümmern darüber hinaus, schon gar nicht im Beruf, das war sogar verboten.
Zumindest wenn diese Frau verheiratet war. Dann konnte der Mann ein Verbot aussprechen, das wirksam war und sie ihre Arbeit aufgeben mußte.
Ilse und ihre Freundinnen kümmerten sich.
Sie kratzten an der großen weiten Welt, machten sich auf den Weg auf eigenen Füßen zu stehen, strebten aus ihrer engen Welt heraus und vergewisserten sich im Kontakt mit ihren Freundinnen immer wieder, daß der Weg begehbar blieb, wie weit er auch fortführte. Viele von ihnen trieb es an weit entfernte Orte.
Ilse tauschte ihn ein gegen einen neuen Traum, eine andere Art der Weltenreise.
Sie traf den Mann, dem sie zutraute, das geschehen zu lassen und wurde seine und ihre eigene Frau.
Sie lebte ihren Traum von der großen weiten Welt im Kleinen und obwohl sie heiratete, Mutter und Mutter und Mutter wurde, stand sie auf eigenen, auch beruflichen Füßen und hielt den Kontakt zur der ersehnten Weite, auch wenn ihre große Liebe sich als Reisemuffel entpuppte.
So lud sie die Welt eben zu sich nach Hause, wurde aus allen Teilen der Welt besucht, alle Erdteile waren dabei.
Und später als sie ihren lieben Mann verloren hatte machte sie sich in rüstig alten Jahren auf den Weg genau dorthin und noch viel weiter; kein Erdteil, den sie nicht betreten – ok,na gut, sie war nie in Afrika.
Und egal wo sie war, ob auf den ABC Wanderungen, im jährlichen Sommer-, Oster-, Herbst-Urlaub mit unserem Vater oder eben auf den weiten Reisen um die Welt, immer hielt sie Kontakt zu ihrer Familie, ihren Freundinnen und zu allen ihrbekannten Geburtstagkindern auf der Welt.
Stifte, Briefpapier, Ansichtskarten, Briefmarken und ihr Adressbüchlein über und über voll mit Daten (die NSA würde blaß vor Neid), die sie zudem zu 90% auswendig kannte waren ihre steten Begleiter.
Mit dem Handy hatte sie es ja nicht so. Wahrscheinlich war ihr das zu einfach, zu unpersönlich, zu aufwandslos, jederzeit über endlose Strecken kommunizieren zu können.
Du, die du, Du, der du Ilse kanntest und schon einmal mehr als einmal Post von ihr bekommen hast, du weißt es. Sie wird es schaffen.
Sie liebte es, weite Wege zu gehen, Zeiten auszukundschaften, wann die gelben, roten oder blauen Kästen geleert wurden oder wann in den Telefonzellen weniger Münzen pro Minute durchfielen – erst dann war sie an einem Ort angekommen, wenn die ersten Karten geschrieben und in den dünnen Schlitzen versenkt waren oder wenn sie per Fernfunk ein Lebenszeichen von sich an die Lieben gesandt hatte.
Wenn man zusammenzählte welche Menge an Post sie im Laufe ihres langen Lebens versandt hat, käme man wohl auf einen Ozeandampfer und mit den bezahlten Gebühren hätte man ihn vielleicht sogar bezahlen können.

Es war und ist unvorstellbar, daß sie nicht einen Weg findet, eine Post, einen reitenden Boten, einen Auftragsdienst, zur Not ein telepathisches Übertragungssystem aufspürt, das, von wo auch immer, einen Gruß oder mehr an deine Adresse senden wird.

Irgendwann also, es kann nicht mehr lange dauern, wird es ein Klopfen an deiner Tür geben, du wirst öffnen und der Postbote wird dir einen Brief oder eine Karte mit einem Gruß von Ilse übergeben und du wirst wissen, sie ist angekommen.

(benötigt eine App für RSS Feeds, z.B. Follower, Feedly, Reeder …)