Misanthrop mit Leidenschaft

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*Ich treffe J.V.W. an einem recht paradiesischen, auf jeden Fall aber lauschigen Ort auf dem Land. Eine als Ackerland ausgewiesene, mit alten Obstbäumen und einigen Tannen bestandene, mit vielen Winkeln und Ecken bestückte, gepflegt wilde, fußballplatzgroße Wiese. Sie ist Wohnort eines ihm inzwischen zum Freund Gewordenen, der seit 30 Jahren selber hier lebt. J. steht hier seit gut einem Jahr mit seinem üppig ausgebauten HolzWohnwagen, der innen, auch wenn man sich gerade mal zu zweit im Gang kontaktlos begegnen kann, die Anmutung einer Halle wiedergibt, licht eingerichtet und alles da, was er braucht. Zwei Dinge lerne ich im Laufe des Tages über das Wohnen im Wagen: -das Wohnen im Wagen entscheidet sich im Winter und – das größte Problem ist der Standort. Auf dem Gelände, wo wir jetzt im Schatten eines Apfelbaumes sitzen, grasen Gänse, picken Hühner, Laufenten staksen flink von Busch zu Busch und ein kleiner Hund schläft weiter hinten. Der Hahn kräht ab und zu, die Landstrasse rauscht kaum hörbar im Rücken. Überall stehen weitere Wohn und Bauwagen, Zelte, Schuppen mit unterschiedlichsten Funktionen und geben mir, gemeinsam mit vielen eingesammelten Steinen, Schildern, Blumen- und Klangampeln den Eidruck eines Skulpturenparks (kennt jemand Thieles Garten in Bremerhaven ?). Ich kenne J. seit mehr als 30 Jahren, er ist seitdem als Schauspieler, Regisseur, Autor und vor allem, wie ihn eine Kollegin mal bezeichnete, als "Wegelaberer" in den unterschiedlichsten, meist von Feierlichkeiten durchzogenen Veranstaltungszusammenhängen unterwegs.

Erste Runde –
Warm up


Kann man Kreativität messen
?
Äh, nein, geht nicht, nein, das ist ein dynamischer Prozess. Etwas was so passiert und das man in keine, ne, das geht in keine Schublade, in keine Maßeinheit.

Wie beschreiben die meisten Menschen, wenn sie mit kreativen Mitteln, ein Problem bewältigten ihre Befindlichkeit ?

Die sind gerade glücklich, weil sie was geschaft haben, wo sie wissen, das hätten sie nicht geschafft, wenn ihr eigener Geist, ihre eigene Schaffenskraft nicht dabei gewesen wäre.
Da ist etwas aus sich heraus, gerade so konnte das passieren, weil ich hier bin und es so mitgestaltet habe.
Und auch wenn sie das so nicht formulieren würden, ist es doch das, was zu diesem Zufriedenheitsgefühl, Möglichkeitsgefühl führt.

Was glaubst du, lässt die Kreativität am meisten wachsen ?
Langeweile.
Als meine Kinder klein waren und sagten - mir ist langweilig, sagte ich, boh hast du ein Glück. Für mich entsteht aus der Langeweile irgendwas, wo ich mich außerhalb der Gewohnheiten beschäftigen muß/darf/kann.
Man kommt in so eine gewisse geistige Leere, die wieder Raum bietet für etwas, was einfach entstehen kann –
- kriegt man manchmal gar nicht mit, aber ich glaube in meiner Langeweile sammel ich immer unheimlich viel Kraft für meine kreativen Prozesse.
Das erste was mir einfiel war übrigens Müßiggang, aber dann dachte ich, ne, ich nehm Langeweile.

Wann kann sich Kreativität am besten entfalten ?
Da hab ich keine Regel, noch nicht mal für mich.
Also ich brauch letzendlich dafür, daß da was auf dem Papier landet oder was ich, äh kreativ nach außen gebe, ich brauch immer den Druck am Ende.
Jetzt muss ich tun - und dann kann ich.
Aber das ist alles vorher in irgendeiner Art und Weise gesammelt, als Notizen, im Kopf –
- ich fühl mich da manchmal wie der junge Mozart aus dem Milos Forman Film, der sich da hinsetzt und sagt:
das hab ich alles im Kopf, muß ich nur noch hinschreiben.

Unterschiedliche Kunst = unterschiedliche Kreativität ? Ne, dazu ist Kreativität zu, da gibt es wie gesagt keine Maßeinheit zu, da ist sie zu umfassend. Woran soll man die Unterschiedlichkeit in der Kreativität festmachen ? Ob man ne Flöte spielt oder was sagt, das ist natürlich was anderes. Als ich anfing tauchte oft die Frage für mich auf, warum ist das so einfach mit den Schauspielern zusammenzukommen, zu spielen und warum so schwierig mit den Musikern, bis mit einfiel, tja, die können sich über ihre Musik einfach besser kommunizieren als über Sprache, das ist schon so.

Braucht Kreativität Intelligenz ?
Eindeutiges "Jain". Es gibt einfach eine Form von Lebensklugheit, die nicht unter diesem intellektuellen Dach funktioniert. Die Intelligenz ist ja auch so ein uneindeutiges... wobei man dazu sagen muß daß die Kreativität an sich sie nicht braucht, aber das Ergebnis, also was das für andere rauskommt, da steckt auch die Intelligenz dahinter.

Hast du ev. andere Worte dafür ? Es gibt da son Wort, da bin ich im Laufe der Jahre immer mehr hingekommen – ich nenn das die Intuition, wo für mich die ganzen scheinbaren Widersprüche von Kopf und Bauch und Herz und bamm und Intelligenz, wo ich glaube jeder Mensch hat diese Intuition für sich zu entscheiden, das ist jetzt richtig für mich und ich glaube, diese Intuition ist auch der größte Stützpfeiler der Kreativität.Oder so -jede Kreativität ist intuitiv. Und die Frage ist dabei auch, wieviel Raum gebe ich dieser Intuition. Bei mir ist z.B. Natur eine enorme Energiequelle dafür, in der Stadt, in einem Kämmerchen hockend, könnte ich das was ich tue, nicht tun, ich würde den energetischen Raum dafür nicht kriegen.

Kreativität und Ökonomie – passt das zusammen ? Also, aus der Nummer kommen wir ja nicht raus, das wir sobald wir uns hier auf dieser Welt bewegen, ökonomische Wesen sein müssen – was zu essen, die vier Wände und um da ranzukommen muss man ökonomisch denken. Das ist wieder so relativ – das ökonomische Wesen und das kreative Wesen können eigentlich nicht Hand in Hand arbeiten, sondern nur auf verschiedenen Ebenen. Aber es gibt da Schnittpunkte, wo das ökonomische das kreative befördert, z.B. wenn man sagt, wenn ich da wirklich mein Geld mit verdienen möchte, muss ich mich auch hinsetzen und was aufschreiben oder dahingehen und was tun, oder den Pinsel schwingen. Das ist aber nur das Drehrad, damit man was Produktives schafft, was mich am Leben hält. Beides ist immer da, nebeneinander her

Gibt es sowas wie negative Kreativität ? Nein, negative Gefühle ja, wofür man seinen kreativen Geist dann benutzt, wie man wem was für Todesfälle am Besten antun könnte, aber, auch wenn das ein kreativer Prozess ist, der da abläuft, so ist nicht die Kreativität negativ, sie bleibt Kreativität.

Gehört K. In die Politik ? Ja, auf jeden Fall. Weil wenn du dich mit deiner Kreativität beschäftigst, lernst du auch die Dinge distanziert zu betrachten und das ist ein absolutes Muss in der Politik. Welche Entscheidung führt zu was, da musst du eine Idee von haben, und sich solche Dinge vorzustellen, das ist ein kreativer Prozess, um dann zu der einen oder anderen Entscheidung zu gelangen.

Ein Bild von einem kreativen Moment/Prozess – wie sähe das aus ? Wie ne Sternschnuppe - und es macht so: "pling - phhhh"

Kreatives Gesellschaftsspiel ? Spiel ?
Ich bin leidenschaftlicher Doppelkopfspieler, für mich ist das hochkreativ.

Warmup beendet ah, jetzt gehts ans Eingemachte

zweite Runde persönliche Fragen Würdest du dich selbst als Künstler bezeichnen ? Ja. Ich schaffe eine Kunst, ich verdiene damit mein Geld und ich hab auf der Bühne was zu suchen.(lange Pause) Warum ? Weil man da ab und zu findet.

Worin besteht deine Kunst ? Ich mag ja dieses Wort, "Wegelaberer", das hat mir eine Kollegin mal zugedacht und ich fragte sie, ob ich das nehmen darf und seitdem... Ich kann Dinge sprachlich, theatertechnisch (theatrös) in etwas umwandeln, was den Leuten ne Bereicherung und in den meisten Fällen auch ne Freude bringt. Bei mir ist da auch viel Intuition und Improvisation mit drin.

Was macht für dich das Künstler sein aus ? Wenn ich zu Arbeit fahr, fahr ich wohin wo gefeiert wird in irgendeiner Art und Weise, find ich wunderbar. Es gibt immer wieder Leute, die mir sagen, ich könnte das nicht, was du machst und dann sage ich oft – ja zum Glück, wenn wir das alle könnten, dann wär es verdammt schwer für mich damit mein Geld zu verdienen. Aber für mich ist dieses Wohinfahren und da meine Kunst zu präsentieren und da passiert dann wieder irgendwas, also nicht nur das was man vorher im Kopf hatte, da passiert für mich auch immer etwas persönliches, also ich komme von jedem Gig in irgendeiner Weise erweitert zurück, machmal auch um die Erkenntnis, dieser Abend war fürn Arsch, diese Phasen gibt es ja auch, wo alles stockt) – aber das ganze Lebenskonzept um das KünstlerSein herum erfüllt mich mit einer grundsätzlichen Freude und Dankbarkeit, ich guck so oft in Richtung Himmel und sage "Danke" genau dafür, das ich das sein darf und machen darf.

Das hat ja alles auch viel mit Sich Einlassen zu tun, ist das für dich dann auch so etwas wie eine Beziehungstat ? Ja das ist alles....Ich fang mal andersrum an. Ich behaupte ja von mir, daß ich ein Misanthrop bin. Wenn ich mir die Menschen als Ganzes und auch einzeln angucke, finde ich das eher enttäuschend. Ich glaube dadurch habe ich relativ früh in meinem Leben damit angefangen, mir eher das Gute anzugucken, damit ich nicht dauernd so enttäuscht und traurig bin, weil das ist ja genauso mannigfaltig vorhanden. Und ich glaube, das ist auch eine große Kraft die mich auf die Bühne gebracht hat, weil ich diese Kommunikation in diesem Moment, wenn es zündet - es ist schön Menschen zum Lachen zu bringen, dieser Moment der Freude, des sich Wohlfühlens, sich an dem Moment erfreuen, das ist immer so voller positiver Ernergie. Ich sag immer, wenn ich vor 10 Leuten stehe geb ich ja immer nur eine, nämlich meine Energie ein, aber ich bekomme 10 zurück, ich hab am Ende gewonnen, aber ich bin der Zünder in dem Moment. Insofern ist das immer eine Beziehungstat. Das ist ne ganz eigene Kommunikation, also wenn ich mich frage, warum machst du das eigentlich, komme ich immer wieder dahin, diese Kommunikation zu beschreiben – es geht mir darum, den Austausch.

Hast du Ziele, die du mit deinem "Schaffen" erreichen willst ?Für Dich ? Für andere ? Ökonomisch – ich will damit alt werden Aber ich muß auch immer das Gefühl haben, hier geht jetzt gerade was Gutes von mir aus. Taugen meine moralischen Ansichten. Auch wenn ich sage Hallo, das Kasperle ist wieder da, will ich trotzdem am Ende erzählt haben was dahinter steckt, also sieh gut mit deinem Herzen, sei offen in Geist und Herz für das Schöne was da ist, vermehre das. Und weil man alles was man sich anguckt vermehrt, das Negative wie das Gute und deshalb eben lieber so – da steckt ja auch so ein buddhistischer Gedanke drin. Und ich hab ja in dem Moment die gestalterische Macht und darin liegt auch die Verantwortung, die nicht zu mißbrauchen. Und auch Gedankenaustausch – ich mag das immer so gerne: so in meinem Kopf wälzen sich große Fragen, so von rechts nach links und bomm bomm bomm und ich selbst dazwischen und alles und höm höm höm und irgendwann nach drei Wochen setz ich mich hin und schreib nen Zweizeiler und in diesen zwei Zeilen ist alles drin was in diesem ganzen Wälzer der letzten drei Wochen drinsteckt und das sind dann so Moment wo ich mich total freue und denke: Ah, alles klar.

Welche Rolle spielt Kreativität in deinem Künstler Sein ? Das ist der Kern. Ich habe da so ein Grundvertrauen in meine Kreativität. So wenn ich da stehe und wenn im Puplikum irgenwie reagiert wir oder es wird etwas gesagt, daß ich dann in dem Moment, ne schöne, passende, witzige, schlagfertige Antwort dazu habe und da baue ich drauf, daß ich das so kann, daß es dafür tauglich ist, daß auch 80 Leute denken – och für dieses Rittermahl hab ich gerne so viel Geld bezahlt, das war ja lustig.

Würdest du dir ein Mehr an Kreativität wünschen und wenn ja, wie sollte sie beschaffen sein ? Ah, da kommen wir jetzt zum Thema meiner Faulheit. Da gibt es z.B. dieses Buch, für das ich ja schon sowas wie einen Vorschuss bekommen habe. Da hab ich grad mal zwei Seiten geschrieben, da ist alles andere, wie bei Mozart im Kopf. Und ich weiß, daß es eine ganze Menge bringen würde, wenn ich mich auch nur eine Stunde am Tag für zwei Wochen hinsetzen würde, da würde eine Menge entstehen, aber gerade ist es zuviel, ich bin ein bißchen zu faul, jetzt ist grad Saison. (aber das ist ja auch gar nicht die Frage nach der Kreativität, eher nach der Arbeitsdisziplin, oder der Frage, nach dem richtigen Zeitpunkt für die Arbeit. Anm.T.)

Wenn da etwas geboren wurde, was macht das mit dir ? Kannst du beschreiben, was da in dir geschieht/entsteht ? Diese Gefühl, ach schön, da ist wieder was im Fluss. Da ist auf jeden Fall großer Stolz dabei, wo ich immer sehr achtsam bin, daß ich diesen Stolz und meine Eitelkeit fein säuberlich voneinander trenne. Da zitiere ich auch noch mal diesen schönen Satz: "Einer guten Idee ist es völlig egal wer sie gehabt hat" aber das gibt mir auch immer wieder das Gefühl, ja, ich darf mich Künstler nennen, darf Künstler sein. Es ist auf jeden Fall eine Form von Freude, spürbarer Freude, ganz schlicht, ich freu mich dann.

Gibt es bei dir den Moment, wo es passiert ? Ganz oft. Ganz viel. Es gibt da auch diese ganz großen Highlights, gerade auf der Bühne, die dann wenn man an sein 30, 40 Jahre auf der Bühne stehen, die bleiben einfach hängen, ewig. Einer dieser Momente war z.B. Guildo Horn, also Pannas hat Guildo hat dich lieb beim Tavernenspiel gesungen, wir haben das ganze Tavernenspiel als song contest gemacht und ich stand dann da und hab gesagt, ich sei finnischer Opernsänger und fing dann an zu trällern. Das war nicht gut, aber das muss sehr sehr witzig gewesen sein. Da war Ute und lachte ihr herzliches Lachen und alle kriegten sich nicht mehr.... das war einer der Momente wo ich dachte – ah

War das schon immer so, hat sich das verändert ? Ja klar. Ich sach mal so – die Eitelkeit war und ist für diese ganze Geschichte ein intensiver Motor, aber der Umgang damit ist inzwischen ein ganz anderer. Es gibt eine Form der Selbstbestätigung, die ich da früher rausgezogen hab, die brauch ich nicht mehr. Und dieses Gefühl wenn man von der Bühne oder aus seinem Kostüm steigt – boh das war richtig schön, charmig, da schwingt die Eitelkeit natürlich mit, aber ich brauch dieses Gefühl eigentlich nur für diesen Moment wo ich sage, ja ich habe diese Arbeit gerne gemacht und kann da auch gerne für Geld nehmen, das war gut und deshalb darf ich diese Arbeit machen.

Hast du Mittel, Techniken, Vorgehensweisen dahinzukommen ? Mich auf´n Stuhl setzen, in die Natur gucken und langeweilen. Müßiggang. Und gucken, daß ich in einen schönen, freudvollen Gedankenflow komme. Sich aus diesem ganzen andern Kram rausbegiebt. Und ich schöpfe aus schönen menschlichen Begegnungen, ob in der Gruppe oder bilateral, da ist oft so viel Kraft, soviel Lachen drin.

Was geschieht bei der Präsentation ? Das ist immer mit der Hoffnung verbunden, das die Wirkung so ist, wie man sich das vorgestellt hat. Und wenn das ins Leere geht, dann ist die Enttäuschung groß. Aber das ist auch eine Sache an die ich mich gewöhnt habe. Als der B.D. damals im L.Theater seine erste Inszenierung machte, da fragte er mich, ob ich mir die Generalprobe angucken konnte, aber mit der Bedingung, danach zu verschwinden, damit er mit den Schauspielern reden könne und wir treffen uns später im Jorgos. Dann kam er, setzte sich und fragt: eij sag mal, ist eigentlich jede Inszenierung ein großes Scheitern und ich guckte ihn an uns sagte: Ja. Weil das geht mir immer so, wenn ich mir eine Prmiere von mir angucke, dann seh ich nur was fehlt, ich sehe nichts von dem was ich geschaffen habe, nur wo ich zu blöd war, nicht gut genug war zu vermitteln für das was ich erst selbst jetzt verstehe, ich übertreibe jetzt, aber das ist mir immer so gegangen, auch bei meinen aktuellen Sachen aber ich kann mich da inzwischen auch emotional so von distanzieren, das ich klar komme – du weißt halt, das ist so und so und da passiert das und das und du sagst dir ok, beim nächsten Mal hast du den Kick eben früher. Aber das ist ja auf vielen Seiten auch sehr flüchtig. Bei den spontane, improvisativen Sachen, wo du probierst, sollte das was raus will auch rauskommen, da gibt es dann auch die Sachen die bleiben, in der erinnerung oder die Pointe wird für immer in das Stück übernommen. Und auch bei den Aufführungen, hier jetzt gerade, vor zwei Wochen, Caldron de la Barca, die fünfte Vorstellung. Ein ganz stilles Publikum, keine Reaktionen, ich fands richtig qualvoll, fragte mich, macht das überhaupt Sinn, ist das nicht alles sterbenslangweilig und am Ende gab es standing ovations, nur begisterte Menschen da und dann dachte ich, ok, also doch, oh wie schön.

Würdest du den Moment/ diese Kreativität als heilend beschreiben ? Heilend ? Als du gerade anfingst mit dem Wort, dachte ich heilig, da hätte ich sofort ja gesagt. Aber heilend und heilig schließt sich ja auch hier überhaupt nicht aus. Aber wirklich, ich find es liegt was Heiliges in diesen Momenten, was Leuchtendes, das passiert da. Das spür ich bei der Rezeption, also beim Angucken ebenso wie beim Machen, beim Gestalten.

Kannst du dich der Aussage anschließen – Meine Kreativität heilt -meine geschundene Seele ? Ja.

die, die sich mit meiner Kunst beschäftigen ? Ja Eindeutig Ja. (Ich hatte auch schon die Antwort, ich habe keine geschundene Seele.) An dem Punkt bin ich dann nicht nur Misanthrop, da bin ich auch Fatalist, also wie soll ich denn keine geschundene Seele haben, diese Seele wird durch uns hier Existieren müssen an sich schon geschunden.

Gibt es einen Ort, der dir beim Kreativsein hilft ? Natur, nochmal. Aber auch das was mir täglich begegnet. Menschentheater ist eine der größten Inspirationsquellen. Im Zug, eine übergewichtige Dame am Rollator mit ihrem schmal- und kleingewachsenen Mann, die unverwandt aufs gröbste schimpfte: "Weißt du, wo du deinen Ehering heute abend finden kannst – im Klo, im Klo" usw., die ganze Fahrt. Und ich dachte bei mir nur, wenn es solche Leute nicht gäbe, wüßte Kollege Uli gar nicht, was er spielen sollte. Die Verrückten und die Bekloppten sind immer die größeren Dramatiker, die erzählen eben mehr.

Dritte Runde Allein/Zusammen/Politische Fragen/Was fällt dir dazu ein

Kennst du weitere / andere Auseinandersetzungen mit Kreativität im öff. Diskurs ? Also, ich halte es für absolut wichtig z.B.in der Erziehung, Schulbildung etc. das kreative Element, was jeder in sich trägt zu fördern, dem Raum zu geben, egal wo sie später damit landen, aber das Gefühl dafür, das Bewustsein darum, diesen überaus wertvollen Quell ihres Sein zu erleben.

Gruppenarbeit in der Schule ? Ensemblearbeit ? Teamarbeit ? Wie müsste die gestaltet sein ? Es müsste auf jeden Fall kommunikativ gefördert oder auch gefordert werden. Überall, z.B. der Chef der sagt pass auf, wir haben folgende Situation hier und wir machen ersteinmal ein brainstorming und dabei kann jede/r sagen was er/sie will und daß da ein Arbeitsklima ist, ohne daß da gesagt wird, ja da hat ja damals der dazu gesagt und wenn wir das.... dann wäre ja. Jedes gesellschaftliche Zusammensein,da bin ich mir sicher, wird reicher und produktiver durch Kreativität. Und das ist ja auch in der Autowerkstatt, wenn da ein junger Kerl steht und sagt, das Regal, wenn wir das dahin und das so, ersparen wir uns die Hälfte unserer Laufwege und das die Leute dann nicht sagen, das war doch schon immer so, das ist dann auch ein kreativer Angang.

Der Flow-Effekt (Montessori) ? Flow - Schaffens- bzw. Tätigkeitsrausch oder Funktionslust. ? Mein Sohn war auf der Montessorischule, das war atmosphärisch eine tolle Schule und das Konzept ist gut und war genau richtig für ihn. Im Mittelpunkt das Kind, seine Fähigkeiten, seine Kreativität, da kann ich was mit anfangen. Da fällt mir noch ne Geschichte ein. In Bad B. da sind dann bei der Walpurgisnacht auch immer diese Elfen und Feen und werden gefeiert und gespielt und überall dieses Zauberhafte. Und letztes Jahr war da plötzlich ein relativ kleines Kind am Nachmittag vermisst und das ging so weit, daß da dann schon von der Feuerwehr im nahegelgenen Fluss mit Stöcken gesucht wurde und sowas. Nachts um 11., halb 12. kam dann jemand auf der Zeltlagerwiese an so nem kleinen Lagerfeuer vorbei wo ein kleines Mädchen, ganz versunken und ganz verträumt in dieses Lagerfeuer guckte, sich daran wärmte und er sagte dann, heißt du zufällig soundso und sie sagte: Ja. Die ist an dem Tag in dieser Feenwelt völlig abgetaucht, die war völlig glücklich, glücksseelig, hat ihre Eltern gar nicht vermisst. Und all das vorher und drumherum will niemend, vor allem nicht die Eltern je wieder erleben, aber diese Auflösung war geradezu bezaubernd.

Soziale Plastik, Wärmecharakter (Beuys) ? Jede/r kann ein/e Künstler*in sein (Novalis) ? Klar, jeder Mensch ist kreativ, also kann jeder Mensch ein Künstler sein und wann er dann zum Künstler wird, tja. Ich kann auch ein Bild malen, vielleicht hat das ja auch einen Künstlerischen Wert aber wann ist das Kunst ?

Wir beenden das Gespräch aus Rücksicht auf unser schwindendes konzentratives Vermögen und J. zeigt mir noch das komplette Gelände, wir besuchen F., der zwischen Blumen und u.a. unter dem Schild "Es gibt immer was zu tun" vor seinem Wagen sitzt und schauen in die Weite über dem Feld hinter dem Grundstück. Dann trinken wir noch einen Kaffee bevor die folgenden Aufgaben des Tages angegangen werden.

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(benötigt eine App für RSS Feeds, z.B. Follower, Feedly, Reeder …)